„Ich geh raus!“

Der Ausstieg aus dem Konzern – mutig oder einfach naiv?

Was meine Erfahrungen damit waren, wie ich die Entscheidung getroffen habe und wie es sich wirklich anfühlt. Wie es weitergeht, weiß ich noch nicht.

Jetzt bin ich offiziell raus. Nach neun Jahren. Am letzten Tag musste ich dann doch noch ein paar Tränchen verdrücken, aber grundsätzlich fühle ich mich ziemlich gut mit meiner Entscheidung.

Ein bisschen ist so ein langjähriger Arbeitgeber ja wie ein Ehepartner.
Nur dass für-immer-verheiratet-sein eigentlich out ist im Jobumfeld. Zumindest war das immer meine Ansicht, die ich auch gerne verkündet habe. „Ich bin ja nicht mit dem Unternehmen verheiratet“ oder „Wenn es sich anbietet, gehe ich raus, ich will ja auch noch was anderes als Telko und Großkonzern kennenlernen“ waren so meine Sprüche. Als es dann vor ein paar Monaten um die konkrete Umsetzung ging, war ich dann erstmal nicht mehr ganz so cool.

Denn:

–          Mein Arbeitgeber hat mir so viel ermöglicht: tolles internationales Trainee-Programm, Mit-Finanzierung meines Masterstudiums, Rückkehr als zweifache Mutter in Vollzeit, erster Führungsjob, verschiedenste Zertifizierungen und Weiterbildungen, Arbeiten an superspannenden Zukunftsthemen…

–          Das Unternehmen war nach dem Studium mein erster „richtiger“ Arbeitgeber

–          Alle meine Bonner Freunde kenne ich irgendwie darüber

–          Ich habe in der Firma ein gigantisches, globales Netzwerk

–          Ich hatte von Anfang an einen sicheren, unbefristeten Job

–          Der Konzern ist so groß, dass es unheimlich viele Möglichkeiten gibt

–          Ich wohne in Bonn und fahre nur 10 Minuten zur Arbeit

–          Ich verdiene sehr gutes Geld

–          Ich arbeite einfach gerne dort

Und außerdem sagen die anderen:

–          „Man gibt doch so einen sicheren, hochbezahlten Führungsjob nicht einfach auf!“

–          „Jetzt hast du in den letzten Jahren so hart gearbeitet, und dann gehst du einfach?“

–          „Wer weiß, ob du in deiner Situation jemals nochmal so eine Chance bekommst!“

–          „Woanders musst du ja wieder bei Null anfangen!“

–          „..jetzt, wo du endlich alle internen Prozesse so gut kennst!“

–          „In Bonn gibt es doch sonst nur noch die Post!“

–          „Auf der anderen Seite scheint das Gras immer grüner..“

Ist ein solcher Schritt also nicht mutig, sondern schlichtweg dumm? Naiv?

Nein, denn:

–          Es ist super zu gehen, wenn es karrieretechnisch gerade richtig gut läuft, denn dann hat man eine gute Absprungbasis.

–          Loyalität ist wichtig; trotzdem ist man mit dem Arbeitgeber eben nicht verheiratet. D.h. man kann sich auch sehr einfach im Guten trennen.

–          Ein Chef sagte mal zu mir: Eigentlich müssten alle Mitarbeiter spätestens nach 10 Jahren mal raus aus so einem Großkonzern. Absolut! Wie soll man längerfristig denn über den Tellerrand schauen und mit neuen, innovativen und kreativen Ideen kommen, wenn man nicht auch mal draußen war? Ich tue dem Unternehmen damit also etwas Gutes!

–          Ich fühlte mich immer so jung, so anders – schließlich wurde ich mal als „Querdenker“ eingestellt. Aber wenn ich ganz ehrlich bin, irgendwie passt man sich nach so vielen Jahren dann doch an; und irgendwie denke ich gar nicht mehr so wirklich viel anders als meine alt- (oder noch älter 😉 eingesessenen Kollegen

–          Klar, das Gras scheint immer grüner auf der anderen Seite. Aber wie soll ich je erfahren, WIE grün es wirklich ist, wenn ich nie dagewesen bin?

–          Ich habe vor kurzem einen Artikel gelesen, in dem es darum ging, dass man sich nicht nur positiv, sondern auch negativ in einer Komfortzone befinden kann. Id est, man kann es sich auch meckernd und jammernd gemütlich einrichten. In letzter Zeit habe ich mich immer mal dabei ertappt, wie ich mich auch über dies und jenes beschwert habe – zu viele schwerfällige Prozesse, alles zu langsam im Großkonzern, teilweise noch Beamtenkultur, die Produkte nicht fancy genug, alles zu hierarchisch und so gar nicht Startup-like. Love it, change it, or leave it!

–          Ich verlasse gerne meine Komfortzone! Changes als Chances, also Veränderungen als Chance, als neue Herausforderungen zu sehen, das ist mein Credo.

–          Ein bisschen ist es wie im goldenen Käfig: Der Job so sicher, die Bezahlung so gut. Gleichzeitig stünden mir jetzt wahrscheinlich noch einige Jahre im Hamsterrad bevor, in denen ich mich langsam durch die Hierarchiestufen nach oben arbeiten könnte, wo die Luft dann immer dünner wird. Ich will weiterkommen, aber irgendwie nicht so. Und mein Gefühl sagt mir, dass es mit jedem weiteren Jahr schwieriger wird, jemals noch einen Job woanders zu bekommen, der zwar in einem „cooleren Umfeld“, und gleichzeitig mit derselben guten Bezahlung daherkommt.

Trennung im Guten

Am Ende ist es dann natürlich doch ein bisschen wie eine Trennung, eine ohne Rosenkrieg zum Glück. Ich denke an neun tolle Jahre zurück, die mich unheimlich weitergebracht haben. Ich werde an das Unternehmen immer in großer Dankbarkeit denken und genieße gleichzeitig dieses aufregende Freiheitsgefühl. Für mich persönlich war diese Entscheidung konsequent, ich bereue sie nicht und freue mich jetzt mega auf was Neues! Das Gefühl, nicht zu wissen, was ich in einem Jahr machen werde, ist unheimlich gut, weil es das Leben so spannend macht und wieder alle Optionen öffnet. Wenn ich Lust habe, kann ich in eine neue Stadt, in eine ganz andere Branche, kann vielleicht auch in einem anderen Bereich arbeiten. Was auch immer es sein wird, es wird meinen Horizont wieder erweitern und mich damit bereichern.

Das ist Luxus!

Das ist meine ganz persönliche Geschichte; dass ich weich falle ist mir klar – ich bin nicht Allein-Ernährer der Familie und habe durch meine aktuelle Elternzeit mit Kind #3 ein bisschen Puffer. Nicht jeder hat den Luxus, die Wahl zu haben. Trotzdem glaube ich fest daran, dass regelmäßige, große und auch kleine Veränderungen jeden bereichern und ein bisschen Ungewissheit ein ganz neues Freiheitsgefühl beschert. Ich denke schon wieder ganz anders, habe 1000 Ideen für alle möglichen Lebenslagen und beschäftige mich auch wieder mit anderen Dingen.

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